Kamakura – Stadt der Tempel

Die alte Hauptstadt am Meer mit der Großen Buddha Statue, neunzehn Schreinen und fünfundsechzig Tempeln ist ein lohnendes Ziel für einen Tagesausflug von Toyko aus

Daibutsu · Großer Buddha

Bis ins 14. Jh. war die ca. 50 km südwestlich von Tokyo an der Sagami-Bucht gelegene Stadt das politische Zentrum Japans, bevor der Regierungssitz 1333 nach Kyoto verlegt wurde. Kamakura ist für japanische Verhältnisse quasi eine Kleinstadt mit knapp 200.000 Einwohnern und ist im Süden vom Meer, nach Norden, Osten und Westen von den sogenannten Fünf Bergen (Gozan, 五山) begrenzt. Von Kamakuras früherer Bedeutung zeugen noch heute 19 Shinto-Schreine und 65 buddhistische Tempel, davon zwei von Japans ältesten Zen-Klöstern in Kita-Kamakura. Durch Wanderpfade sind die sich an die Hügel der Stadt schmiegenden Tempel und Gärten verbunden.

Von Tokio aus gibt es mehrere Möglichkeiten, Kamakura öffentlich zu erreichen. Bei meinem ersten Besuch wurde es der Regionalzug (JR Yokosuka Line) von Tokyo Station über Yokohama nach Kamakura. Wobei ich nach ca. 50 Minuten schon in Kita-Kamakura (Kamakura Nord) ausgestiegen bin, um die ersten schönen Tempelanlagen Engaku-ji und Kenchō-ji zu besichtigen. Beim zweiten Besuch ein paar Jahre später war es dann ab Fujisawa Station die Enode Line Streetcars Linie, eine straßenbahn-ähnliche kleine Bahnlinie, die das Nordufer der Sagami-Bucht abfährt. Von der Station Hase ist man in wenigen Minuten beim Kōtoku-in Tempel mit dem Great Buddha.

Engaku-ji Tempel

Nur wenige hundert Meter östlich der kleinen Bahnstation Kita-Kamakura (北鎌倉駅) entfernt ist mein erstes Besichtigungsziel, der Engaku-ji Tempel (円覚寺). Der tief im Wald stehende, 1282 vom Hojo-Regenten Tokimune begründete Tempel ist der größte der fünf großen Zen-Tempel Kamakuras. Trotz eines schweren Erdbebens blieb die 1285 erbaute Reliquienhalle (Shaliden) erhalten und repräsentiert seither die Stärke der Architektur aus der Kamakura-Zeit. Vom 1. bis 3. Januar kann in der Reliquienhalle ein wertvolles Quarzreliquiar mit einem Zahn Buddhas besichtigt werden.

Die große moderne Haupthalle (仏殿, Butsuden) im Zentrum des Tempelkomplexes wurde 1964 originalgetreu wieder aufgebaut, nachdem sie durch das große Kanto-Erdbeben zerstört worden war, und ist Hokan Shaka Nyorai gewidmet, einer sitzenden Statue aus der späten Kamakura-Zeit. Die Große Glocke (大鐘, Ogane) aus 1331 ist mit 2,6 Metern Höhe die größte aller Tempelglocken von Kamakura und Nationalschatz.

Kenchō-ji Tempel

Der Rinzai-Zen Tempel Kenchō-ji (建長寺) ist einer der größten von Kamakuras fünf großen Zen-Tempeln und Japans ältestes Kloster für Zen-Übungen. Obwohl wesentlich kleiner als zu seiner Blütezeit, besteht die Tempelanlage immer noch aus einer großen Anzahl von Tempelgebäuden und Untertempeln und erstreckt sich vom Eingangstor am Fuße des Tals weit in die bewaldeten Hügel dahinter. Nach dem Passieren des Sanmon (Haupttors) sieht man auf der rechten Seite die als Nationalschatz ausgewiesene Tempelglocke (Bonsho).

Die erste Tempelhalle danach ist die Butsuden (Buddha-Halle), die eine Statue des Jizo Bodhisattva zeigt. Hinter dem Butsuden steht die Hatto (Dharma-Halle), das größte hölzerne Tempelgebäude im Osten Japans. Es beherbergt eine Statue von Kannon und hat einen Drachen an der Decke gemalt.

Haupthalle ist das Hōjō, das ursprünglich als Residenz des Oberpriesters diente, heute aber für verschiedene Zwecke genutzt wird. Der große Zen-Garten mit Teich namens Shin-ji Ike (心 字 池, Mind Character Pond) hinter dem Hōjō, dem Wohnraum des Oberpriesters, ist in Form des chinesischen Schriftzeichen für Mind ( 心 ) angelegt und wurde vom berühmten Zen-Lehrer, Gelehrten, Dichter und Gartengestalter Musō Soseki entworfen.

Danach geht es über einen schönen Wanderweg über den Berg weiter in Richtung Kamakura. Vorbei am dem Kriegsgott Hachiman gewidmeten Tsurugaoka Hachiman-gū Schrein gelangt man in weiterer Folge auf einer breiten Straße bis zum Meer. Wesentlich interessanter ist es jedoch, beim roten Torii links des Ostausganges der Kamakura Station die für ca. 350 m parallel zur Wakamiya-oji führende Komachi-dori mit ihren alten Häusern und Snack-Ständen zu gehen.

Von der Kamakura Station wäre es ja nicht mehr weit zum Großen Buddha zu Fuß oder eine Station mit der Endo Linie. Ich bin vom Herumlaufen jedoch schon ausreichend müde, und hebe mir die weitere Erkundung Kamakuras für einen weiteren Besuch auf.

Bei meinem zweiten Besuch ein paar Jahre später bin ich, wie in der Einleitung beschrieben, mit der Enode Linie direkt zu den südlichen Tempeln gefahren. Diese Linie fährt das letzte Stück entlang der Küste und in Kamakura wie eine Straßenbahn zwischen den Häusern. Mein erster Besichtigungspunkt war natürlich gleich der Große Buddha, nur wenige Minuten von der vorletzten Enode-Station Hase entfernt.

Kōtoku-in Tempel mit dem Großen Buddha

Der berühmte Große Buddha (大仏, Daibutsu), eine 13 m große und 121 t schwere bronzene Statue im Kōtoku-in Tempel (高徳院), ist das Symbol von Kamakura und gilt als die schönste und makelloseste Buddha-Statue Japans. Er wurde 1252 aus Bronze gefertigt und ist nach dem Daibutsu des Todai-ji in Nara die zweitgrößte Buddha-Statue Japans. Taifune und Erdbeben haben die ursprüngliche Überdachung der Statue zerstört, sodass sie seither im Freien zu bestaunen ist.

Der Buddha Amitabha wird, wie zumeist, auch hier in sitzender Meditationshaltung gezeigt, mit seinen Händen im Schoß ruhend und die Zeigefinger bilden aufgerichtet durch die Berührung der Daumen zwei Dreiecke. Dies ist die höchste unter den neun Begrüßungsgesten, mit denen Amitabha gemäß der japanischen Tradition des Amitabha-Buddhismus Verstorbene im „Reinen Land“ begrüßt. Auf die Stellung Amitabhas als einer der bedeutendsten esoterischen, tantrischen Buddhas weisen seine unter dem Gewand verborgenen Füße hin.

Hase-dera Tempel

Ein weiterer sehr berühmter Tempel ist der Hase-dera (長谷寺, dera = Tempel) unweit der gleichnamigen Bahnstation. Der Tempel gehört, so wie der Große Buddha, zur bedeutenden Jōdo-shū-Sekte und entstand in seiner heutigen Form wahrscheinlich zu der Zeit, als Kamakura Hauptstadt Japans war. In der Haupthalle steht eine 9,30 m hohe vergoldete Statue aus massivem Holz, die 11-köpfige Kannon. Sie soll 721 aus der Hälfte eines uralten Baums geschnitzt worden sein. Aus der anderen Hälfte wurde die Kannon-Statue im Hase-dera in Nara gefertigt.

Neben der Kannon-Statue befindet sich im Hase-dera Tempel zudem die drittälteste Glocke der Stadt, die im Jahr 1264 gegossen wurde. Im Garten des Tempels findet man zahlreiche Figuren des Boddhisattva Jizo, des Schutzgotts für die Kinder im Jenseits.

An einem Berghang gelegen, bietet der Hase-dera Tempel einen wunderschönen Ausblick über die Stadt Kamakura. Die relativ geräumige Tempelanlage beinhaltet auch eine kleine Höhle.

An der Küste tummeln sich Surfer in der Brandung, eine gute Gelegenheit für ein paar Schnappschüsse, und es geht weiter zum Hōkoku-ji, auch Bambustempel genannt, liegt er doch in einem dichten Bambuswald.

Hōkoku-ji Bambustempel

Nach all der Kultur und den eindrucksvollen Tempeln lasse ich im Hōkoku-ji (報国寺), der aufgrund des berühmten Bambushains hinter der Haupthalle des Tempels auch Bambustempel genannt wird, die Natur auf mich wirken. Der Bambuswald besteht aus über 2000 Mōsō-Bambusstielen und ist von schmalen Pfaden durchzogen, die auch zu einem Teehaus führen.

Zum Ausklang noch auf die Insel Enoshima

Letztes Ziel ist die Insel Enoshima (江の島 „Insel [in] der Bucht“), eine kleine Halbinsel in der Mündung des Flusses Katase, über einen Landstreifen und eine 600 m lange Brücke mit dem Festland verbunden. Enoshima ist bewaldet und ein beliebtes Ausflugsziel. Es ist bereits späterer Nachmittag, die meisten Ausflügler haben die Insel bereits wieder verlassen und ich flaniere in beschaulicher Ruhe herum, bis ich in einem kleinen lokalen Restaurant mit Ausblick auf die aufkommende Abendstimmung Nudeln esse. Auf einem Baum in etwas Entfernung beobachtet uns ein Seeadler, der dann von der Restaurantbesitzerin mit Essen herbeigelockt wird. Auch ich werfe Fleischstücke, die der Seeadler elegant im Flug auffängt.

Ein wunderschöner Abschluss eines wunderschönen Tagesausflugs.
Morgen ist Montag, die Arbeit in Tokio ruft wieder.


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